Als das „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“ am 1. Oktober 1920 in Kraft trat, lag eine langjährige Auseinandersetzung über die Vergrößerung Berlins hinter den politisch Verantwortlichen. Die sozialen Probleme der dicht besiedelten Stadt Berlin und der Wohlstand der umliegenden Großstädte und Gemeinden sollten durch die große Eingemeindung zu einem Ausgleich gebracht werden.
Die Missstände durch beengte Wohnverhältnisse, Arbeits- und Perspektivlosigkeit waren seit den 1910er Jahren immer wieder auch Thema in der Bildenden Kunst. Neben Hans Baluschek und Heinrich Zille galt vor allem Käthe Kollwitz als engagierte Künstlerin, die soziales Elend mit Empathie und eindringlicher Bildsprache zu schildern verstand. Durchgängig finden sich in ihrem Werk sozial engagierte Motive, die sie meist im Auftrag schuf. So wandte sie sich 1906 und 1925 gegen das Elend der Heimarbeiterinnen, 1908/09 schuf sie für die Zeitschrift Simplicissimus eine Serie „Bilder vom Elend“, in der sie neben den ungewollten Schwangerschaften der Frauen auch Alkoholismus und Gewalt thematisierte.
Bereits 1912 unterstützte sie mit einem Plakat die Bildung einer Gemeinde Groß-Berlin, um nach deren Schaffung immer wieder auf weiterhin bestehende Missstände, vor allem in den wirtschaftlichen schweren Jahren nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, hinzuweisen. Mit „Flugblättern gegen den Wucher“ machte sie 1920 im Auftrag des Staatskommissars für Volksernährung auf die schlechte Ernährungslage und die nachfolgenden Krankheiten aufmerksam, sie schuf Plakate gegen den Alkoholkonsum (1922) und für die Abschaffung des Paragrafen 218 (1923).
Als sich in Folge der Hyperinflation die Ernährungslage der armen Bevölkerungsschicht dramatisch verschlechterte schloss sich Käthe Kollwitz der Fraueninitiative zur Schaffung von Suppenküchen an. Zur Finanzierung sollte „Ernährungsgeld“ gekauft werden, wofür Kollwitz 1924 auf Plakaten warb.
Unabhängig von diesen Auftragsarbeiten schuf Kollwitz Mitte der 1920er Jahren etliche grafische Blätter, in denen sie die Themen der Plakate aufgriff und künstlerisch verarbeitete. Der Zyklus „Proletariat“ (1924/25) gehört ebenso zu diesen Kunstblättern, wie die Arbeiten „Städtisches Obdach“ von 1926 oder „Das Letzte“ (1924). Aber auch die Werke, die unter dem Motto „Ich will wirken in dieser Zeit“ standen, bereitete sie intensiv zeichnerisch vor. Das Berliner Kollwitz-Museum zeigt in seiner Ausstellung daher viele zeichnerische Entwürfe, die von dem Ringen der Künstlerin um die künstlerische Qualität und den gesteigerten Ausdruck zeugen.
Dank großzügiger Leihgaben aus einer bedeutenden nordrhein-westfälischen Privatsammlung und einer Sammlung aus der Schweiz ist es möglich, Zeichnungen und Druckgrafik vergleichend nebeneinander zu präsentieren. Die große Könnerschaft der Künstlerin wird dabei ebenso deutlich, wie ihr mitfühlendes Engagement.
Die Ausstellung präsentiert ca. 30 selten gezeigte Zeichnungen und Grafiken vornehmlich aus den 1920er Jahren.